Der SPDLandtagsabgeordnete Marcus Bosse hat als Mitglied des Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses arbeitsreiche Monate hinter sich und noch viele Sitzungen vor
sich. Zeit für ein erstes Fazit.
Und das fällt bereits jetzt eindeutig aus. Aus Bosses Sicht haben sich nicht nur alle
Befürchtungen bestätigt, sie seien von den nun bekannten Fakten noch übertroffen worden.
„Die Asse“, meint Bosse, „war nie das Forschungsbergwerk, als das man uns das Projekt
verkauft hat“. Von Anfang an sei sie als kostengünstiges Endlager für die Atomwirtschaft
genutzt worden. Die Anlieferer seien lange erst kostenfrei gestellt worden und hätten dann
mal gerade einen symbolischen Preis von 100 DM pro Fass bezahlt.
Für den Abgeordneten steht mittlerweile fest, dass die Annahmebedingungen und die
Einrichtung mit der Atomindustrie abgesprochen waren und dass niemand je die
Rückholung der Abfälle beabsichtigt hat. Auch dass die Asse nicht trocken war, sei den
Verantwortlichen bewusst gewesen. Unterlagen von 1964, also vor der Einlagerung,
sprechen bereits von fünf Kubikmeter Schachtwasser am Tag.
„Man hat sich auch nicht auf die Einlagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle
beschränkt, wie man die Öffentlichkeit glauben machen wollte“, erklärt Bosse weiter.
Ausschussakten würden belegen, dass von den über 1.000 Fässern, die aus
Kernforschungszentren zur Einlagerung in der Asse angeliefert worden waren, aber auch
kommerziellen Atomabfall enthielten, jedes dritte eine deutlich höhere radioaktive
Strahlung an der Außenhaut aufgewiesen habe als erlaubt. „Aus den Anlieferungsscheinen
geht eindeutig hervor, dass Strahlungswerte bis zu fünf Mal höher waren als zulässig. Da
diese Fässer zusätzlich mit einer 13 Zentimeter dicken Abschirmung aus Stahl oder Blei
versehen waren, lässt sich ermessen, dass der Inhalt weit im hohen mittelaktiven Bereich
anzusiedeln ist“, führt der Abgeordnete vorsichtig aus.
Das vom niedersächsischen Umweltministerium verbreitete TÜV-Gutachten von 2008 über
das radioaktive Inventar der Asse entspreche insofern in weiten Teilen nicht den Tatsachen:
„Vieles im Statusbericht stimmt aus heutiger Sicht nicht, so wurde etwa „vergessen“, fast 20
Kilogramm Plutonium anzugeben.“ All dies sei ohne ein intensives Aktenstudium nicht zu
belegen gewesen, ansonsten wäre man noch heute den Beschwichtigungsversuchen hilflos ausgeliefert. Das Umweltministerium in Hannover etwa habe immer nur so viel zugegeben,
„wie aus anderen Quellen bereits bekannt war“.
Anhand vieler Zeugenaussagen, von denen einige auch erhebliche Lücken und
Unstimmigkeiten (im Ausschuss-Jargon heißt das „Donnerstags-Amnesie“) aufweisen, ist
nach Bosses Auffassung deutlich geworden, dass „der Umgang mit atomaren Abfällen viele
Menschen erheblich überfordert hat“. In der Konsequenz heiße das, dass sich in diesem
System Fehler und Informationspannen immer weiter fortgepflanzt hätten – bis in die
jüngste Vergangenheit hinein.
Ein weiterer wesentlicher Grund, warum die Ausschuss-Arbeiten nicht abgeschlossen
werden können, sei das „sonderbare Verhalten des Bundeskanzleramtes“. Bereits vor über
einem Jahr habe man die dort befindlichen Asse-Akten angefordert: „Aus welchem Grund
man nicht liefert, ist nicht nachvollziehbar. Das hält uns unglaublich auf.“ Falls die
Aktenlage aus dem Bundeskanzleramt und anderer Behörden nicht noch neue Erkenntnisse
bringen, könnte die Zeugenliste Ende Oktober abgeschlossen werden und der
Parlamentarische Untersuchungsausschuss seine Arbeit Ende des Jahres mit dem
Abschlussbericht beenden.